Erinnerung und Mahnung – Bad Driburger Kundgebung setzt Zeichen„Nie wieder!“ und „Sag nein!“ zu Nazis

Themenwoche endet

Elisabeth Affani


Bad Driburg. „Unsere Aufgabe im Jahr 2024 ist es, nicht nachzulassen und uns laut vernehmbar für den Erhalt unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung stark zu machen. Es wäre fatal, den öffentlichen Raum auf den Straßen und in den sozialen Netzwerken den Verächtern unserer Demokratie und des Rechtsstaates zu überlassen.“

Kalt war es bei der Kundgebung am Leonardo-Brunnen, die vom Bündnis #5vor1933 organisiert worden war. Doch ließ die Wintersonne über vierhundert Zuhörer fast zwei Stunden lang den Rednern aus verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen lauschen.
Moderiert wurde die Veranstaltung von Wilk Spieker.

Dieses Video auf YouTube ansehen.
Haftungsausschluss : Mit dem Abspielen des Videos greifen Sie auf Inhalte des externen Anbieters YouTube zu. Dadurch können dessen Cookies gesetzt werden. Sie stimmen dem zu.


Anlässlich des Gedenktages der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau erinnerte Monika Schrader-Bewermeier von der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Paderborn an das Leid, das der Massenmord der Nationalsozialisten an sechs Millionen Juden hervorrief, an die Ermordung von Sinti und Roma, Jehovas Zeugen, Behinderten, politisch Verfolgten, Priestern und Ordensleuten, sogenannten „Arbeitsscheuen“ und Mitbürgern mit angeblich „asozialem“ Lebenswandel, von angeblichen „Feinden des Volkes“. Tausende von Kindern waren unter den Opfern.
Die Ghettos und Lager seien kein „Betriebsunfall“ gewesen, sondern die „Folge eines langsam einschleichenden Giftes“, das die Nazis als Heilmittel verkauften und in Familien und Schulen trugen. Die Katastrophe sei viel zu spät erkannt worden.
Die Zeitzeugen sind zum größten Teil gestorben, „gerade deswegen müssen Andere das Erinnern weitertragen“. Die Zivilgesellschaft müsse deutlich „Stopp!“ sagen, zu den Methoden und Mechanismen der Nazis, zu deren verlogenen Unterstellungen, schleichenden Ausgrenzungen, Lügen, Deutschtümelei, Menschenverachtung, Umkehrung der Gesetze.
„Damit hätte man in den 20er Jahren Hitler verhindern können, doch die Parteien blieben damals in ihrem Milieu, was in Gefahr keine gute Entscheidung ist“, betonte Monika Schrader-Bewermeier. „Probleme gehören selbstverständlich zur menschlichen Existenz, aber wir sollten alles daransetzen, sie zivilisiert und mit Blick auf die Zukunft zu lösen. Das erfordert Ernsthaftigkeit, Denken, Abwägen und einen tragfähigen Kompromiss. Maximalforderungen helfen nicht weiter – auf keiner Seite.“
Die Rednerin dankte Karl Brinkmöller † für seinen unschätzbaren Beitrag zur Stadtgeschichte und den jungen Leuten für das Weitertragen dieser wichtigen Aufgabe. Sie appellierte: „Übernehmen wir Verantwortung da, wo wir stehen, und lassen wir uns nicht für böse Spielchen von Verführern benutzen, das würde ein böses Erwachen.“

Drei Schüler des Gymnasiums St. Xaver mit ihrem Geschichtslehrer Raphael Fecke zeigten exemplarisch und eindrucksvoll, dass die jungen Leute als „Zweitzeugen“ die Verantwortung für das Weitertragen sehr wohl übernehmen. Sie berichteten von ihrem Musikdrama „Die Kinder der toten Stadt“, das sie „gegen das Vergessen“ im April aufführen werden. Es erinnert an das Schicksal der jüdischen Kinder in Theresienstadt.
Die Gymnasiasten hatten auch Reisekoffer aus ihrem „Kofferprojekt“ mitgebracht, die an die Opfer des KZ Auschwitz-Birkenau erinnern sollen.
Ein Besuch des KZ Theresienstadt soll folgen.

Für die katholische Gemeinde trat Pastor Peter Lauschus ans Mikrofon. Er sprach von den „Remigrationsfantasien, die in Potsdam durchgespielt worden sind“, die ihn an die Politik der ersten Jahre des „Dritten Reiches“ erinnerten. „Wir können und wollen aus der Geschichte lernen“, betonte er. „Es ist wichtig und konsequent, zu seinen Prinzipien zu stehen.“ Er kritisierte die anfangs bestehende politische Abstinenz der Kirche, die fehlende „Kraft zum Einsatz und zum Protest“, nicht erst als Gotteshäuser brannten. Pater Alfred Delp und Pater Franz Riepe waren andere Stimmen. Distanz der Geistlichen zum „Dritten Reich“ zog Verfolgungen, Inhaftierungen, KZ-Folter und sogar den Tod nach sich.
Pastor Lauschus mahnte, die wichtigsten Lehren seien „Nie wieder!“ und „ Es gibt auch ein Zu spät!“.

Der evangelische Pfarrer Volker Walle aus Brakel (s. Eingangszitat) sieht eine alarmierende Entwicklung der politischen Landschaft in Deutschland. Mit dem bekannten Zitat des Pfarrers Martin Niemöller „Als die Nazis die Kommunisten holten …“ mahnt er, entschlossen einzutreten „für eine offene, demokratische, plurale und solidarische Gesellschaft, gemeinsam gegen den Rechtsruck in Deutschland und Europa“. Es sei heute „5 vor 1933“. Die verhängnisvolle Geschichte aus der Zeit des Nationalsozialismus dürfe sich nicht wiederholen. Auch abseits von Demonstrationen solle sich jede und jeder für die Demokratie nützlich machen: „In der Kantine, bei der Party, auf dem Fußballplatz, am Arbeitsplatz, in der Schule: Wo immer Relativierungen und Rechtfertigungen für rechtsextreme und demokratiefeindliche Ideen fallen, kann man aufstehen und sagen: Ich sehe das nicht so. Ich möchte in einer demokratischen, freien und solidarischen Gesellschaft leben. Und deshalb sollten wir bei Wahlen auch nur solche Parteien wählen, die den demokratischen Grundkonsens in unserem Land unmissverständlich teilen und nicht aushöhlen wollen.“

Matthias Goeken, Mitglied des Landtags, warnte vor einer Spaltung der Gesellschaft durch die Rechtsextremisten. Das Wort „Remigration“ sei zu Recht Unwort des Jahres. Es sei wichtig, die Werte der Demokratie zu schützen. Er verurteile alle Versuche, die Gesellschaft durch Hass und Hetze zu spalten. Jede Bürgerin und jeder Bürger habe demokratische Grundrechte, die durch unser Grundgesetz gewährleistet seien.

Auf dieses Unwort bezog sich auch Alexander Bieseke, Mitglied des Bündnisses #5vor1933. Er betonte, dass deutscher Staatsbürger und deutsche Staatsbürgerin jede bzw. jeder sei, „die bzw. der einen deutschen Personalausweis oder Pass besitzt. Dieses Recht kann durch keine Willkür-Maßnahme aufgehoben werden.“ In der Nazidiktatur und in der DDR gab es die Ausbürgerung per Gesetz, aber diese finsteren Zeiten sollten eigentlich vorbei sein.
Doch wie damals setze sich ein gesteuerter Mob auf der Straße über alle Regeln hinweg und verbreite Angst und Schrecken. Politikerinnen und Politiker würden bedroht und beschimpft, Pressevertreter angegriffen, Nazi- und Galgensymbole verwendet.
„Drohungen und Aufforderungen zu Straftaten sind Teil dieser politischen Unkultur und zeigen eine bedenkliche Verrohung der demokratischen Sitten, einen Verlust jeglichen Anstandes.“
Sein Appell lautete: „Die Würde jedes Menschen in unserem Land ist unantastbar.
Wir lehnen die Politik der Straße ab, die zu Hass und Gewalt aufruft, und legen die Politik in die Hände der Menschen zurück, die wir zu diesem Zweck gewählt haben, nämlich uns zu vertreten und in unserer Kommune, unserem Kreis, unserem Bundesland und in Berlin unsere politischen Interessen wahrzunehmen.
Wir geben Minderheiten keinen Raum für ihre verfassungsfeindlichen Ziele.
Wir sagen NEIN zu Rassismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit.
Wir sagen JA zur friedlichen, zivilisierten, kultivierten Auseinandersetzung mit politischen Themen.“

Wilk Spieker dankte in seinen Schlussworten allen Zuhörern und Mitwirkenden, besonders den Mitorganisatoren des Bündnisses #5vor1933 für die bewegende Kundgebung. Er dankte Patrick Vergin für die Bereitstellung der Technik, Melanie Peters für die Zurverfügungstellung ihrer Meetbar, in der von Mitgliedern von pro barrierefrei warme Getränke, gesponsert vom b4 Hotel, ausgeschenkt wurden.

#5vor1933

Fotos: Hubert Meiners, Kevin Brand, Tobias Kröger, Brigitte Nastansky