Urteil im Quellenstreit: Wie Bad Driburg einen sicheren Sieg verschenkte

Alexander Bieseke

Bad Driburg. Das Anfang September veröffentlichte Urteil des Landgerichts Paderborn zum „Quellvertrag Wiesenquelle“ wirft ein grelles Licht auf den Millionenschaden, der die Stadt belastet. Eine Analyse der GRÜNEN-Fraktion zeigt: Der entscheidende Fehler passierte nicht nur vor, sondern vor allem nach der Vertragsunterzeichnung – und wurde von der Verwaltungsspitze selbst verursacht, so eine Pressemitteilung von Bernd Blome von den GRÜNEN.

Weiter heißt es:

Bisher lag der Fokus auf der ursprünglichen Panne: Die Stadt schloss den teuren Vertrag in der Annahme, auf dem Grundstück laste ein Förderverbot. Diesen Irrtum schob die Stadtführung auf ihre damaligen Rechtsberater. Doch das Gericht stellte klar: Trotz des Irrtums hätte die Stadt eine starke Rechtsposition gehabt, um den Vertrag anzufechten – und den Schaden abzuwenden.

Der entscheidende Fehler

Diese gute Ausgangsposition wurde durch eine unverständliche Handlung des Ersten Beigeordneten zunichtegemacht. In einem Entwurf für eine Stellungnahme an die Kommunalaufsicht sprach er von „Zweifeln an der genauen geologischen Verortung der Quelle“. Diesen Entwurf gab er ausgerechnet dem Anwalt des Heilbadbetreibers weiter.

Für das Gericht war der Fall damit eindeutig: Wer bereits im Vorfeld Zweifel äußert, kann sich später nicht mehr auf einen Irrtum berufen. Die Anfechtung war verloren – der Millionenschaden für Bad Driburg besiegelt.

Widerspruch zwischen Darstellung und Urteil

Bis heute betont die Stadtverwaltung öffentlich, man sei vor Vertragsabschluss fest davon ausgegangen, dass auf dem Grundstück ein Verbot lastete. Auf ihrer Website heißt es im Januar 2025:
Nach Unterzeichnung der Vereinbarung stellte sich allerdings heraus, dass eine solche Dienstbarkeit zwar auf dem angrenzenden, nicht aber auf dem Flurstück der Wiesenquelle eingetragen war. Somit wäre die Wiesenquelle für die Stadt ohnehin frei nutzbar gewesen. Hier hat ein Irrtum vorgelegen, der so nicht hätte eintreten dürfen.

Das Urteil zeichnet jedoch ein anderes Bild: Zweifel am Standort bestanden bereits vor der Unterschrift – und wurden später vom Prozessgegner erfolgreich gegen die Stadt eingesetzt.

„Skandal im Skandal“?

Bernd Blome, Fraktionssprecher der GRÜNEN, spricht von einem doppelten Versagen:
Die Verwaltungsspitze hat dem Prozessgegner den entscheidenden Beweis gegen die eigene Stadt frei Haus geliefert. Wir sind fassungslos, dass Bad Driburg laut Gericht eigentlich völlig schadlos aus dem Vertrag herausgekommen wäre – obwohl zuvor ein Fehler gemacht wurde.“

Die GRÜNEN haben deshalb eine offizielle Anfrage an Bürgermeister Burkhard Deppe gestellt. Sie fordern, sämtliche Nachweise für die angeblichen Zweifel am Standort offenzulegen.

Blome fragt: „Wenn es diese Zweifel gab – warum wurden Rat und Öffentlichkeit nicht informiert? Und wenn es sie nicht gab – warum wurde dann eine folgenschwere Aussage verschriftlicht und ausgerechnet dem Prozessgegner übergeben?“

Der Pavillon im Eggelandpark

Sein Fazit: „Dass jemand ernsthaft dachte, die Quelle direkt unter dem Pavillon läge 50 Meter entfernt, ist absurd. Aber genau wegen dieser Behauptung haben wir den Prozess verloren.

Blome nennt dabei einige Zitate aus dem Urteil:

1. Zur grundsätzlichen Möglichkeit der Anfechtung (Der schadensfreie Weg aus dem Vertrag wäre offen gewesen):
Das Gericht bestätigt ausdrücklich, dass der von der Stadt begangene Irrtum grundsätzlich eine Anfechtung des Vertrages ermöglicht hätte. Die Stadt hatte also eine starke Rechtsposition, die sie schadlos aus dem Vertrag hätte führen können.
„Nach § 119 Abs. 2 BGB ist eine Anfechtung möglich, wenn ein Irrtum des Erklärenden über verkehrswesentliche Eigenschaften der Person oder Sache gegeben ist. (…)

Zwar tritt die Kammer der Auffassung der Beklagten [der Stadt Bad Driburg] bei, dass die Frage, ob ein Grundstück mit einer Unterlassungsdienstbarkeit belastet ist oder nicht, eine verkehrswesentliche Eigenschaft iSv § 119 Abs. 2 BGB des Grundstücks ist.“ (Rn. 70-71)

2. Zur Weitergabe des entscheidenden Schreibens an den Prozessgegner:
Das Gericht stellt fest, dass der Beigeordnete der Stadt dem Anwalt der Gegenseite einen Entwurf seiner Stellungnahme zukommen ließ und ihm damit das entscheidende Beweismittel lieferte.
„Am 11.05.2021 schickte der Beigeordnete T, der allgemeine Vertreter des Bürgermeisters, an den rechtlichen Berater und nunmehrigen Prozessbevollmächtigten des Klägers einen ersten Entwurf seiner Stellungnahme an die Kommunalaufsicht […].“ (Rn. 17)

3. Zu den schriftlich geäußerten „Zweifeln“ des Beigeordneten vor Vertragsschluss:
In ebenjenem Entwurf räumte der Beigeordnete ein, dass zum Zeitpunkt der Vertragserstellung wesentliche Unsicherheiten am Standord der Quelle bestanden – genau diese Unsicherheit wertete das Gericht als „Zweifel“, die einen Irrtum ausschließen.
„Zum Zeitpunkt der Erstellung des Regelungsentwurfs konnte zum einen nicht kurzfristig festgestellt werden, auf welchem Flurstück sich die X geologisch befindet. Zum anderen war nicht kurzfristig ermittelbar, ob die Quelle überhaupt noch aktiv ist und Wasser führt, welches auch noch trinkbar ist.“ (Rn. 21)

4. Zur Schlussfolgerung des Gerichts: Wer zweifelt, kann sich nicht auf einen Irrtum berufen.
Das Gericht lehnte die Anfechtung des Vertrages durch die Stadt ab. Auch wenn der Stadtrat keinerlei Kenntnis von Zweifeln hatte, müsse das Wissen des Beigeordneten der Stadt zugerechnet werden. Die Kernaussage des Gerichts ist eindeutig:
„Unter Berücksichtigung der Ausführungen in dem vorgelegten Entwurf der Stellungnahme vom 11.05.2021 […] ergibt sich, dass der Vertragsschluss in der konkreten Art und Weise gewollt war, obwohl offen war, auf welchem Flurstück sich die X geologisch befindet und ob diese noch aktiv ist.“ (Rn. 75)

Die rechtliche Konsequenz dieser Zweifel sei vernichtend, so Blome.
„Wer nämlich trotz bestehender Zweifel eine Willenserklärung abgibt, übernimmt das Risiko einer Fehleinschätzung.“ (Rn. 93)
Damit stünde fest: Der grundsätzlich mögliche Ausweg aus dem Vertrag (siehe Punkt 1) wurde durch die selbst dokumentierten Zweifel der Stadtspitze und deren Weitergabe an den Prozessgegner verbaut.


Das Gericht stellte ferner fest, so Blome, dass die Anfechtung zusätzlich viel zu spät erfolgte und auch deshalb nicht gültig sei. Der Beigeordnete habe wochenlang Schriftverkehr mit den Gegneranwälten geführt, statt den Vertrag zumindest vorsorglich zur Fristwahrung anzufechten.
Vor Gericht war der Beigeordnete nicht in der Lage dem Gericht genaue Daten zu nennen, wann er Kenntnis von der fehlenden Dienstbarkeit hatte, was zu seinen Lasten gewertet wurde.

„Demgegenüber hat die Beklagte schon nicht substantiiert dargetan, wann genau sie Kenntnis der Voraussetzungen des Anfechtungsrechts erlangt hat, so dass die Kammer schon nicht beurteilen konnte, ob eine nach den Umständen des Einzelfalls zu bemessende, angemessene Prüfungs- und Überlegungsfrist eingehalten wurde. Kommt es darauf an, ob eine Frist, die in Tagen oder Wochen bemessen wird, eingehalten wurde, so muss der Anfechtende – im Rahmen der sekundären Darlegungslast – exakte Angaben darüber machen, wann sich erste Verdachtsmomente einstellten, wann schließlich Kenntnis vorlag und welche Prüfungsschritte in der Zwischenzeit erfolgt sind.

Daran fehlt es im Streitfall, was zu Lasten der Beklagten geht.“ (Rn. 100-101)


Hinweis:

Die Redaktion von BDiB hat bereits vor mehreren Monaten mehrere Anfragen an die Verwaltung nach dem Informationsfreiheitsgesetz gestellt. Gegenstand der Anfragen war der vollständige Schriftwechsel zwischen den Vertragspartnern sowie die Korrespondenz zwischen der Verwaltung und der Paderborner Kanzlei. Nach Angaben des Beigeordneten Michael Scholle gebe es in dieser Angelegenheit jedoch keine weiteren Dokumente außer denjenigen, die bereits im Ratsinformationssystem öffentlich zugänglich sind.

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