Friedrich Wilhelm Weber – Aus der Zeit Gefallenes aufheben

Einen versunkenen Schatz von allem Schlick befreien

Elisabeth Affani

Bad Driburg. Lesen wollen wir unseren Lokaldichter Friedrich Wilhelm Weber nicht mehr. Aber wir wollen die nach ihm benannten Straßen behalten. Wir wollen viele Touristen nach Alhausen zum Weberhaus wandern sehen. Wir stehen andächtig vor dem Dreizehnlinden-Brunnen auf dem Rathausplatz, betrachten die kunstvollen Bildtafeln, wissen aber nicht, was sie bedeuten. Die Straße Auf der Thingstätte ist noch weniger spektakulär, das Kapitel X in „Dreizehnlinden“, „Auf der Dingstätte“, ist den meisten so unbekannt wie ein Kloster. Als Namensgeber unserer Realschule versank er mit ihr.

Wir hören ehrfürchtig die Bezeichnung „Heimatdichter“, ergänzt durch das Prädikat „westfälisch“, informieren uns über die Biografie des Dichters, der in Alhausen geboren und in Pömbsen getauft wurde, in Driburg 26 Jahre lang als Arzt praktizierte, aber auch in Bad Lippspringe als Badearzt tätig war, der 30 Jahre lang die Winter als Abgeordneter im Preußischen Landtag in Berlin verbrachte, dann nach Thienhausen zog und in Nieheim begraben wurde.

Blick auf Bad Driburg von der Aussichtsplattform auf der Iburg


Für welche Heimat dichtete Friedrich Wilhelm Weber?
Weniger ehrfürchtig, weil doch viele den Bezug zur Religion nicht mehr so eng sehen, hören und lesen wir von der Christianisierung der Sachsen als Thema in „Dreizehnlinden“.
Nun, auch wenn wir keine Printausgabe zu Hause liegen haben, können wir das Werk lesen.
Das Projekt Gutenberg stellt es kostenlos zur Verfügung.
Wenn es nur nicht so schwer zu lesen wäre!

In unserer modernen medialen Welt geht die Tatsache verloren, dass Kritik sowohl positiv als auch negativ ist und sein kann. In den „sozialen“ Medien geht es allzu oft um den Verriss und zu selten um Lob.
Franz Schuknecht † warf Webers Kritikern vor, dass sie angestrengt nach negativen Ansätzen für ihre Kritik suchten und so Beispiele für Fehlurteile lieferten. Alle Volksschichten über Ostwestfalen hinaus hätten „Dreizehnlinden“ und den Dichter schon in der Schule kennengelernt. Schuknecht war Lehrer am Gymnasium Clementinum und Schulleiter des Städtischen Gymnasiums. Er kannte viele Lehrpläne, doch Weber kam darin nicht mehr vor.

„Dreizehnlinden“ gehört laut Jürgen Busche † und seinem Beitrag in der Süddeutschen Zeitung 1994 nicht zur großen deutschen Literaturgeschichte, doch „fest der Heimatgeschichte an“. Es sei das erfolgreichste Werk der Kaiserzeit und habe zur Kultbildung des Germanenmythos beigetragen.
Wolfgang Delseit setzt den Dichter in Anführungszeichen, er bezeichnet ihn als Schriftsteller. Er könne diese Literatur „kaum mehr ertragen“. Weber ideologisiere das Mittelalter, seine Heimatauffassung sei verengt. Auch als Franzosenkritiker sei er ihm aufgestoßen.
Man kenne Weber zu Recht heute nicht mehr, sein Werk sei nicht mehr zeitgemäß. Die Auffassungen darüber hätten sich geändert, „welche Werte jungen Menschen angesichts veränderter Wirklichkeitsstrukturen vermittelt werden sollten“. Delseit schreibt weiter: „Was im 19. Jahrhundert zu überzeitlichen Werten deklariert wurde – bei Weber waren diese zumeist mit religiösen Topoi verbunden –, läßt sich heute nicht mehr vermitteln.
Delseit begründet seine Ablehnung auch damit, dass in der NS-Zeit das Versepos „Dreizehnlinden“ bearbeitet und unter dem Titel „Elmar“ vielfach aufgeführt wurde.

Dass Webers Dichtung in NS-Schulen aufgeführt wurde, lässt Franz Schuknecht als Argument für einen Ausschluss nicht gelten. Das Werk gehörte nicht zu der verbotenen Literatur, aber es ließ sich „schwer adaptieren“. Daher entfernten die Nationalsozialisten nicht nur „Dreizehnlinden“, sondern auch den „Goliath“ aus dem Lektürekanon der Schulen. Die Lyrik wurde beiseitegeschoben.

In einem Gutachten des „Deutschen Zentralinstituts für Erziehung und Unterricht“ im Jahr 1938 heißt es: „Für eine epische Erzählung wie Webers ‚Goliath‘ ist im neuen deutschen Lehrplan kein Platz mehr … Schon die ganze Atmosphäre ist zu mild und weich, ja bei aller wortkargen Schlichtheit geradezu kraftlos … Die Frömmigkeit, die die ganze Dichtung hindurchzieht, ist nicht frei von tendenziöser Einseitigkeit.“
Das ist heute absolutes Lob.

Dichter wurden je nach den Moden und Tendenzen verschiedener Zeiten unterschiedlich bewertet. Wenn sie es nicht zu Weltruhm schafften wie Goethe oder Shakespeare, wurden sie von Heimatbewegten zu „Heimatdichtern“ stilisiert. Der Paderborner Literaturwissenschaftler Walter Gödden kritisiert, dass das Westfälische „krampfhaft herausdestilliert und verabsolutiert“ wurde. Auch Weber wurde in diese triviale Schublade gepackt, und damit wurde verhindert, dass man seinem Werk gerecht wurde.

Die neuesten Bemühungen, ein modernes Konzept für einen touristisch annehmbaren Weber zu entwerfen, verzichten leider wieder nicht auf die enge volkstümliche Einordnung unter dem westfälischen Heimatbegriff, als sei dies der Beweis für eine Sonderstellung. Webers Eltern stammen nicht aus Driburg, sie zogen von Falkenhagen nach Alhausen.
Die weitere Schublade war die religiöse. Weber hatte eine katholische Mutter, aber einen evangelischen Vater. Diese ökumenische Komponente wurde geflissentlich verschwiegen.

Jutta Biedebach schreibt im Vorwort ihrer Dissertation „Heimat als Gegenstand westfälischer Literatur“, vergessene Epen neu zugänglich zu machen sei so schwer wie die Bergung eines versunkenen Schatzes. Die Fundsache müsse gereinigt und „von allem Schlick, der sich über viele Generationen hinweg angelagert hat, befreit“, neu betrachtet und analysiert werden. Dann könne die Wertschätzung beginnen.
Der erste Teil des Kapitels über Weber trägt den Titel „Geistige Heimat in der Religion“ und beginnt mit der vielzitierten Wonne in Frühlingstagen, mit der man nicht die Heimat, sondern explizit „Gottes Garten“ durchschweift. Biedebach begründet, warum Weber nicht einfach ein Heimatdichter ist. Das tragende Thema des Epos „Dreizehnlinden“ sei die geistige Heimat, die ethisch-religiös-christliche Lebensanschauung im Sinne Sören Kierkegaards, die christliche Heimat.
Weber habe ein weltbürgerliches Heimatverständnis.

Nationalisten und Nationalsozialisten reduzierten Webers Heimatliebe auf eine Volkstümlichkeit ohne die Konkurrenz der Bindung an das Christentum. Sie brauchten den Bezug zum Germanischen, zur Heimat der angeblich klar definierten germanischen, arischen Rasse, zum Völkischen. Sie stellten Webers Werk in die Reihe „heimischer“ Sagen und Märchen. Weil er aber als einfacher Heimatdichter nicht zu vermitteln war, wurde er aus dem Literaturkanon entfernt. Er passte nicht in die Blut-und-Boden-Ideologie.

Biedebach sieht Weber als versöhnenden, völkerverbindenden Dichter, der für eine friedliche, christliche Völkergemeinschaft plädiert. Sie zitiert Winfried Freund, der empfohlen hat, auf das Attribut „westfälisch“ zu verzichten und Weber „nicht wieder von vornherein ins bloß Heimatliche abzudrängen“.
„Dreizehnlinden“ sei zeitlos und nicht an einen historischen Ort gebunden, auch wenn die Menschen im Nethegau sich damit „heimisch“ fühlen könnten. Weber selbst bittet um Verständnis dafür, dass er den Helden – Elmar vom Habichtshof – in „der Heimat Farben“ malt, als „zäh, doch bildsam, herb, doch ehrlich“.
Biedebach meint, Weber konstruiere diese Heimat, indem er sich auf die christliche Vergangenheit Westfalens berufe.
Auch der Begriff des Vaterlands ist christlich zu sehen. Biedebach untersucht die Haltung der Mönche im Kloster „Dreizehnlinden“ und belegt, dass sie das himmlische Vaterland meinen, das ihre geistige Heimat ist, nicht das irdische.

Wenn Elmar in „Aldinghaus“ auf der Thingstätte angeklagt wird, geht es um den Verlust seiner sächsischen Heimat, die unter die Herrschaft der Franken gerät. Die Machthaber verbannen Elmar, er muss den Habichtshof, seine lokale Heimat, verlassen, er wird heimatlos.
Niemand in der Heimat hilft ihm, verteidigt ihn. Weber schildert die Sachsen als träge, nicht ausdauernd, lustlos im Kampf und wenig heldenhaft. Laut Biedebach kommt dies der „westfälischen Mentalität“ entgegen.
Der verbannte Elmar trägt einen Beutel mit Heimaterde bei sich, aber nicht aus Vaterlandsliebe, sondern um sein Heimweh zu dämpfen, als Erinnerung an seine in der Heimaterde begrabenen Eltern, an seine kulturelle Identität. Hildegunde ist Teil seiner Erinnerung an die verlorene emotionale Heimat.
Die Mönche nehmen den heidnischen, verbannten Sachsen auf. Im Kloster lernt Elmar eine neue Heimat, die christliche Heimat kennen. Er entscheidet sich freiwillig dafür. Als Christ kann er dann die biografische Heimat zurückerhalten.
Weber bittet in der letzten Strophe von „Dreizehnlinden“ Gott darum, „uns“ zu helfen, den Weg zur Heimat „aus dem Erdenelend“ zu finden.


Literatur:

Franz Schuknecht zum Weber-Gedenkjahr 1994, in: Friedrich Wilhelm Weber, Hg. Weber-Gesellschaft 1993 Paderborn (Bonifatius)
Jutta Biedebach, Heimat als Gegenstand westfälischer Literatur, Dissertation Düsseldorf 2023

Schreibe einen Kommentar