Inklusion, die Augen öffnet

Aktionstag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung

Bad Driburg. (ap) Zum offiziellen Aktionstag der Gleichstellung von Menschen mit Behinderung war am 26.09. in der ehemaligen Glasbläserstadt eine Menge los: Die zweite Rolli-Demo Ostwestfalens, das inklusive Theaterstück „Es ist nix mehr offen“ mit dem Vorprogramm „Freizeitsuperhelden“ sowie den Driburger Disko-Skater Reinhard Gemke mit seiner „Disko auf Rädern“ sorgten in der Fußgängerzone gegenüber der City-Passage ebenso für gute Unterhaltung wie für Aufhebens.


Die Aktion Mensch unterstützt den Protesttag seit mehr als 20 Jahren. Sie koordiniert das Engagement und stellt Förder- sowie Aktionsmittel zur Verfügung. Das Aktionsbündnis beim Paritätischen Kreis Höxter ist ein Zusammenschluss von Vereinen, Verbänden und Selbsthilfeinitiativen. Es setzt sich u.a. zusammen aus dem Behindertenbeirat der Stadt Höxter, dem Behindertenbeauftragten Bad Driburg, der Lebenshilfe Brakel – Wohnen Bildung Freizeit gGmbH, der Selbsthilfegruppe für Körperbehinderte VIELFALT, dem Kompetenzzentrum Selbstbestimmt Leben OWL, dem Verein muvi e.V., der Theaterwerkstatt Bethel, der Selbsthilfegruppe pro barrierefrei – bad driburg, sowie der Ergänzenden Unabhängigen Teilhabeberatung (EUTB).

Do you know what it’s like not to be able to use your legs?

Robert Zemecki


Und dass es zum Thema Inklusion bis heute viel Nachholbedarf gibt, wurde offensichtlich:
„Do you know what it’s like not to be able to use your legs?“
In Robert Zemeckis Drama übernimmt der freundliche Lt. Dan Taylor eine Vorzeigefunktion, indem er Forrest Gump fragt: „Weißt du, was es heißt, wenn man seine Beine nicht benutzen kann?“ (im Original: „Do you know what it’s like not to be able to use your legs?“)
Forest antwortet darauf auf seine liebevoll-ehrliche Weise „Ja, Sir, das weiß ich.“ („Yes Sir, I do.“), weil er als Kind selbst betroffen war.


Einem Menschen ohne Behinderung ist aber oft gar nicht bewusst, wie es sich anfühlt, nicht aktiv am Allgemeinleben teilhaben zu können (wobei „legs“ hier sinnbildlich für jede Form von Beeinträchtigung stehen kann, ob psychischer, geistiger oder körperlicher Natur).

Die Rolli-Demo 2.0 vor dem Driburger Rathaus
Driburger Disko Skater im Einsatz


Die Rolli-Demo 2.0 machte sich erneut stark, um dagegen für mehr Aufklärung, Aufmerksamkeit und Gleichberechtigung zu protestieren:
Nachdem bei der ersten Rolli-Demo im September 2019 ihre Endstation vor dem Driburger Rathaus gefunden hatte, rollte die Rolli-Demo 2.0 einen 1,67 km langen Rundweg über die Kreuzung des Konrad-Adenauer-Ring zum Rathausplatz hinauf zum Senioren-Park carpe diem und von dort aus Richtung Schul- und Pyrmonter Straße. Neben der weiten Bandbreite an Gehhilfen, angefangen
beim einfachen Gehstock über Rollatoren mit integriertem Rollstuhl bis hin zum Vierrad-Elektromobil, wurde einem Nicht-Rolli dabei erst einmal wirklich bewusst, wie viele Hindernisse es entlang dieser Route gibt:


„Wenn ein Rollstuhlfahrer zum Beispiel am Freitagmorgen auf dem Weg zum Wochenmarkt ist und die Abkürzung zur Prälat-Zimmermann-Straße über die Kirchstraße nehmen will, kommt er dort den Bordstein nicht hoch“, bringt es Alexander Bieseke, Mitbegründer der Selbsthilfegruppe pro barrierefrei auf den Punkt, „Wir wünschen uns, dass die Barrieren von der Stadt beseitigt werden, sodass ein gleichberechtigtes Leben für Behinderte, aber auch für Kurgäste mit Gehproblemen möglich ist. Dafür setzen wir uns ein: Für so viel Selbstständigkeit wie möglich mit so viel Hilfe wie nötig, heißt die Devise.“

Keine leichte Stelle für Rollstuhlfahrer: Dabei könnte das kleine Stück der Kirchstraße zwischen Schul- und Prälat-Zimmermann-Straße eine willkommene Abkürzung sein. Nicht nur für Gesunde Menschen

Freizeithelden in Aktion


Nicht nur heimische Aktivisten – unter dem Banner „#Mission.Inklusion: Jetzt die Welt verändern“ fand ein breitgefächerter Austausch statt: Passanten und Besucher wie Beteiligte blieben interessiert vor den Plakaten der Ergänzenden Unabhängigen Teilhabeberatung (EUTB) stehen, informierten sich an dem Stand des KSL.NRW (Kompetenzzentrum Selbstbestimmt Leben Bezirk Detmold) oder ließen sich von den Vertretern des Paritätischen Wohlfahrtsverbands beraten.
Besonderer Beliebtheit erfreute sich zudem das Glücksrad der Lebenshilfe Brakel – Wohnen Bildung Freizeit gGmbH.
„Es ist eine starke Zusammenarbeit und ein geballtes Angebot an Austauschmöglichkeiten,“ freute sich Heike Lubs, Inkluencerin der Lebenshilfe Brakel und Leitung des Projektes „Freizeithelden“, deren Mitglieder das Theater-Vorprogramm „Freizeitsuperhelden“ gestalteten.
Die Projektteilnehmer hatten dafür eine Woche zuvor eigens an einem Workshop der Theaterwerkstatt Bethel teilgenommen. Als Probenort war den fleißigen Schauspielern dazu eigens die Driburger Schützenhalle zur Verfügung gestellt worden.
„Es war der 1. Tag, an dem wir seit langer Zeit mal wieder analog arbeiten durften,“ berichtet Lubs im Hinblick auf SARS-CoV-2. Umso ansehnlicher sticht die Leistung der drei Schauspieler-Paare (u.a. Wolfgang und Susanne Köring, Alexander Frank, Anette Volk und Ronja Mietzelfeld) heraus, die mit selbstgeschriebenen Songtexten und gesangstechnischem Bravo Themen rund um Inklusion, Heimat- und Selbstliebe Ausdruck verliehen.
„Es ist nix mehr offen.“
Neben den Freizeithelden der Lebenshilfe Brakel war es der Glanzpunkt des Aktionstages:

Die Schauspieler der Theaterwerkstatt Bethel v.l.n.r. Luka Kleine, Laura Kreutz, Nicole Zielke, Dietmar Teich, Ralf Strehl, Mitja Brinkmöller, Sigrit Polanski, Pia Ringhoff und Antonia von Reven

Das Open Air Theaterstück der Theaterwerkstatt Bethel verzauberte mit seiner eindrucksvollen Performance und einer Message, wie sie wohl nicht von allen so deutlich erwartet wurde:
Auf den Stufen der Amphore vor c.a.r.o Mode Abzweig Hellweg performten die acht Schauspieler begleitet von musikalischer Schlagzeug-Begleitung mit Farbe und Kunstblut.
Dabei wurde mehr als Kreidestaub aufgewirbelt:
„Es ist nix mehr offen“, ist ein gesellschaftspolitisches, sehr collagenartiges Stück, bei der jede Szene eine eigene zum Nachdenken anregende Symbolik präsentiert. Neben feministischen Winkern mit dem Zaunpfahl und einem gelungenen Anti-Kriegssong wurde auch Corona aufgegriffen – zumal die Theaterwerkstatt COVID-19 deutlich zu spüren bekommen hatte:
„Witzigerweise haben wir ganz anders gestartet“, verrät Nicole Zielke, die im Künstlerischen Leitungsteam der Performance-Gruppe aktiv ist, „Unser Anfangstitel lautete „Es ist alles offen“ – symbolisch für offene Gesellschaft, Mitbestimmung und Gleichberechtigung. Natürlich geht es in unserem Stück noch immer darum, allerdings grätschte uns natürlich auch die Pandemie dazwischen.“

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So verkürzte sich die eigentlich für ein halbes Jahr vorgesehene Probezeit durch den Lockdown im März auf gerade mal drei Monate. Auch von der wirtschaftlichen Lage der Kulturbranche bekamen die Hobbyschauspieler natürlich mit:
„Unsere Premiere hatten wie vor drei Wochen, am 12.09. im Rahmen der Veranstaltung ‚Frei und gefährdet‘, einer Gemeinschaftsaktion der Initiative Freie Darstellende Künste in Bielefeld.“ Erklärt Frau Zielke, „Corona hat uns alle mitgenommen. Daher ist die scharfe Wende unseres Titels ein adäquaterer Spiegel der vergangenen Monate.“
Aber es gibt auch Licht im Dunkel: Für die Zukunft ist ab November bis Dezember eine neue Spielzeit mit neuem Stück von der Performancegruppe der Theaterwerkstatt geplant. Das Angebot richtet sich neben Menschen mit Behinderung an eine breite Bandbreite: Studenten, Schüler, auch Rentner oder einfach Theater-Interessierte sind herzlich willkommen.

Stefan Ingram ist Mitglied der Selbsthilfegruppe pro barrierefrei. Am Infostand klärte er Interessierte unter anderem über die Möglichkeiten von behindertengerechtem Wohnen und Reisen auf