Rotkäppchen raucht auf dem Balkon

Exquisite Comedy mit russischem Akzent


Bad Driburg. In seiner Lesung stellte Bestseller-Autor Wladimir Kaminer am Abend des 13. September im Gräflicher Park Health & Balance Resort sein inzwischen 28. Buch vor und erzählt über seine erste Begegnung mit Friedrich Hölderlin.

Wladimir Kaminer liest aus seinem neuen Buch „Rotkäppchen raucht auf dem Balkon“


Zwanzig Jahre ist es her, dass Wladimir Kaminer sein Erfolgs-Debüt „Russendisko“ veröffentlichte. Heute zieht es den inzwischen 53-Jährigen während seiner Lesereise auch in Friedrich Hölderlins geliebtes Bad Driburg. Während einer eineinhalbstündigen Lesung gab der Erfolgsautor am Abend des 13.09.2020 eine literarische Kostprobe seines neuen Kurzgeschichten–Sammelbandes.
„Rotkäppchen raucht auf dem Balkon“ ist eine Begegnung zwischen und Jung und Alt vor dem Hintergrund unserer hoch technologisierten schnelllebigen Zeit. Mit ureigenem Charme skizziert der zweifache Familienvater generationsübergreifende Kommunikationsschwierigkeiten und verrät, warum die Oma sich zum 88. Geburtstag neben einem eigenen Smartphone einen märchenhaften Rotkäppchen-Besuch wünscht. Das Rotkäppchen mit seinen zwei Jobs, blau gefärbten Haaren und neumodischem Hunger auf Steinoliven hat aber (wie immer) keine Zeit und muss erst vom Vater überredet werden:

Es geht um Kinder, die erwachsen werden und Eltern, die immer kindischer werden


„Es geht um Kinder, die erwachsen werden und Eltern, die immer kindischer werden“, so Kaminer, „Um diese Diskrepanz zwischen Menschen, die alles können, aber nichts wirklich wollen und um Menschen, die alles wollen, aber nichts mehr können.“
Dabei ist es gerade die Alltagsnähe, welche Wladimir Kaminer Komik ausmacht. Gekonnt verbindet er die großen Themen Liebe und Leben mit Witz und Wahrheit und schaffte es, sein Publikum in den Bann zu schlagen:
„Ich durfte ihn ja schon erleben. Man kommt voller Energie aus seiner Lesung“, freut sich Annabelle Gräfin von Oeynhausen-Sierstorpff und verrät, dass für den nächsten Besuch des Autors zusätzlich eine der legendären „Russendiskos“ geplant ist.

Seine Lesung vom Wochenende konnte Herr Kaminer mit einer Anekdote zum Thema Hölderlin abrunden: „Wenn man mich nämlich früher fragte „Was denken Russen über Hölderlin?“, musste ich zugeben: Ich wusste nicht einmal, ob sie überhaupt über Hölderlin nachdenken. Zumindest zu meiner Zeit war er ziemlich unbekannt in Russland. Goethe und Schiller kannte man, Hölderlin lag außerhalb der beleuchteten Literaturwelt.“
Daher rekonstruierte Herr Kaminer seine erste Bekanntschaft mit dem großen Dichter, im Juli 1990 auf dem Polizeipräsidium am Alexanderplatz, wo er neben 33 weiteren Männern und Frauen aus aller Welt humanitäres Asyl beantragte und (wie das in Deutschland so ist) mit Bürokratie gestraft wurde:
„Während wir warteten, sollten wir schon die ersten Formulare ausfüllen. (…) Neben dem Namen und dem Geburtsjahr musste jeder Flüchtling aufschreiben, aus welchem Grund er in Deutschland bleiben wollte. (…) Ich schaute, was den anderen dazu einfiel. Ein älterer Mann neben mir schrieb: Er sei ein großer Fan und Bewunderer der deutschen Poesie. Hölderlin und Hoffmann seien schon immer seine besten Freunde gewesen.“
Er und sein Kumpel Andrej schrieben diese Antwort ab. Letzterer stellte sich aber später die Frage: „Was ist, wenn auffällt, dass diese beiden Freunde – Hölderlin und Hoffmann – dass die uns gar nicht kennen?“
Heute, dreißig Jahre später und mit einer fachliterarischen Bibliothek zu Hause schaut Herr Kaminer auf diese Zeit mit einem Lächeln zurück – ein Lächeln, welches er mit seinen Gästen teilte, als sie an diesem Abend den Hölderlin-Saal verließen.

Wladimir Kaminer und Annabelle Gräfin von Oeynhausen-Sierstorpff
Wladimir Kaminer signiert die gerade am Buchhandlung Saabel-Stand gekauften Exemplare seines 28. Buches