Stark durch die Krise

Wie wir aus einer Entführung etwas für die Pandemie lernen


Bad Driburg. (ap) Während Corona uns noch immer in Atem hält, gab Resilienz-Coach Marc Wallert am 10. Oktober im Gräflichen Park Health & Balance Resort Tipps und Hinweise, wie man mit dem Unvermeidbaren besser umgeht.


In seinem neuen Buch „Stark durch Krisen – von der Kunst, nicht den Kopf zu verlieren“ gibt der Göttinger eine Anleitung, um sich gegen Kreisen im Arbeitsalltag wie im Beziehungsleben – und eben auch im Leben während einer Pandemie – wappnen zu können:
„Unsere Welt ist ein Dschungel geworden.“, erklärt Herr Wallert in seiner Eröffnungsrede, „Wir kämpfen uns durch das Gestrüpp von Corona-Regeln, die sich weltweit jeden Tag ändern. Wir können der Situation nicht entfliehen, wir wissen nicht, wie sie sich entwickelt oder wann sie enden wird. Diese Unsicherheit macht heute vielen Menschen zu schaffen. Für mich ist es eine ähnliche Situation, wie ich sie schon einmal vor 20 Jahren erlebt habe, wenn natürlich auch mit ganz anderen Hintergründen. Dennoch möchte ich jetzt anderen Menschen vermitteln, mit welchen Strategien man durch so eine Zeit kommen kann.“

In seinem Buch „Stark durch Krisen – von der Kunst, nicht den Kopf zu verlieren“ schreibt Marc Wallert über Führungs- und Entführungsverfahrung


Die Anspielung auf den Dschungel hat dabei eine fast ironische Note. Denn Marc Wallert hat eine harte Schule hinter sich – eine sehr harte Schule. Im Jahr 2000 gehörten er und seine Eltern zu den 21 Geiseln um den sogenannten „Entführungsfall Abu Sayyaf“. Wie die Entführung sein Leben veränderte und er heute sogar sagen kann „Es hat mich weitergebracht.“ erzählte er den Mitgliedern der Diotima-Gesellschaft in einem einstündigen Vortrag:

Dann drehte ich mich um und das erste, was ich sah, waren zahlreiche bewaffnete Männer, die auf uns zukamen.

Marc Wallert


Vom Traumurlaub zum Höllentrip
Zunächst begann alles idyllisch: Im Frühling 2000 ist der damals 26-Jährige beruflich bereits sehr erfolgreich. Um vom stressigen Business-Alltag ein wenig abzuschalten, kombinierte er seine Sportleidenschaft mit einem Familienurlaub. Zusammen mit seinen Eltern Renate und Werner ging es auf die malaysischen Insel Sipadan vor der Ostküste Borneos in der Celebessee. Während in Deutschland zu dieser Zeit die Ostereier gesucht wurden, unternahmen die drei Wallerts insgesamt drei Tauchgängen in die Tiefen des Pazifiks zu Meeresschildkröten, bunte Korallen und Schwärmen aus Barrakudas. Begeistert aber auch erschöpft entschloss sich die Familie sich daraufhin, den vierten Nachttauchgang ausfallen zu lassen und verbrachte den Abend lieber entspannt am Steg.
„Hätten wir mal lieber den Nachttauchgang mitgemacht“, resümiert Herr Wallert jetzt 20 Jahre später.
Gerade noch sitzt die Familie entspannt da mit Blick auf den Sonnenuntergang und dem Wellenrauschen im Ohr – dann kippte alles: „Plötzlich schrie jemand hinter mir“, erinnert sich Herr Wallert, „Dann drehte ich mich um und das erste, was ich sah, waren zahlreiche bewaffnete Männer, die auf uns zukamen.“
Es ist der Abend des 23. April. Schwerbewaffnete Rebellen der radikal-islamischen Terrororganisation Abu Sayyaf stürmten das Hotel und nahmen 21 Geiseln. Ihr Ziel: Einen unabhängigen islamischen Staat auf den Philippinen bzw. Lösegeld dazu.
Doch davon ahnte Marc Wallert zunächst nichts: „Ich dachte, dass die uns vielleicht ausrauben und dann wieder verschwinden würden – aber dann hatte ich schon eine Gewehrmündung im Rücken.“
Anschließend wurde er mit 20 weiteren Menschen den Strand entlang in zwei kleine Fischerboote getrieben. Der Beginn einer höllischen Odyssee: 20 Stunden Fahrt über das offene Meer stand ihnen bevor, bis sie schließlich die philippinische Insel Jolo erreichen, wo es nochmals zu einem zehnstündigen Fußmarsch aufgeht.
Akzeptanz ist der erste Schritt
„In solchen Momenten steht man natürlich erst Mal unter Schock. Auch ich konnte zuerst gar nicht glauben, was da passiert“, berichtet Herr Wallert rückblickend, „Je weiter wir uns dann aber von Sipadan entfernten, desto deprimierter wurde ich – bis zu einem Moment, an den ich mich sehr gut erinnere, denn da hatte ich einen sehr verrückten Gedanken: kann es sein, dass das, was hier gerade passiert, einen tieferen Sinn in meinem Leben hat?

So hart es klingt: Wir müssen so schnell wie möglich von dem Gedanken wegkommen: Hätte es das Virus doch nicht gegeben. Stattdessen müssen wir mit dem, was jetzt ist arbeiten

Marc Wallert

Heute weiß ich, ich habe viel aus dieser Erfahrung gelernt und allein das hat mir geholfen, mein Schicksal anzunehmen und damit umzugehen.“
Demnach sei der erste Meter auf dem Weg zur Resilienz die so schlicht und einfach klingende und doch so schwierig zu erreichender Akzeptanz – das sich fokussieren auf die Gegenwart:
„So hart es klingt: Wir müssen so schnell wie möglich von dem Gedanken wegkommen: Hätte es das Virus doch nicht gegeben. Stattdessen müssen wir mit dem, was jetzt ist arbeiten.“
Schließlich eröffnen Krisen auch Chancen. Ob es der eine oder andere Pflichtbesuch bei der Familie ist, den man jetzt nicht mehr wahrnehmen muss und plötzlich merkt: Weniger Stress tut mir gut. Oder ob uns das Homeoffice die Möglichkeit gibt, nach dem Zubettbringen der Kleinen noch eine Stunde Late-Hour-Office einzuschieben. Wer seine Situation akzeptiert, weiß, wo er steht und kann von dort aus weiterlaufen.
Optimismus kann man lernen
Neben Akzeptanz geht aber vor allem noch ein weiterer wichtiger Faktor mit dem magischen Begriff der Resilienz einher. Zahlreiche Studien belegen seit Jahren, dass Optimismus sich positiv auf die psychische wie physische Gesundheit auswirkt. Auch für Herrn Wallert hatte Optimismus in der schlimmsten Zeit seines Lebens Goldwert – und doch war er ein zweischneidiges Schwert:
„Man muss hier echten von realitätsfernem Optimismus unterscheiden“, so Wallert, „Es gab Situationen, in denen die Journalisten, welche zu uns durchgelassen wurden, verlockende Gerüchte erzählten, demnach wir in spätestens zwei Tagen gerettet seien. Dann verging eine ganze Woche und wir waren wo? Immer noch im Dschungel. Das hat Einige aus unserer damaligen Gemeinschaft extrem zermürbt und heruntergezogen. Ich selbst habe mich gegen derlei falsche Hoffnungen insofern gewappnet, als ich mich innerlich bereits zu Anfang auf eine sehr lange Zeit in Gefangenschaft eingestellt habe.“
Nichtsdestotrotz gab es daneben den „echten“ Optimismus, welchem Wallert heute einen ähnlichen Stellenwert wie dem Essen und Trinken zumisst:

Aus den Zitronen, die uns das Leben schenkt, Limonade machen

Marc Wallert


„Wir hatten ein kleines Abendritual, uns jeden Abend vor dem Schlafengehen für das Positive zu bedanken. Wenn die Sonne schien, dankten wir für den Sonnenschein und bei Regen für das Frischwasser. Und so unglaublich es klingt, aber ich habe gemerkt, dass ich danach zuversichtlicher war und weniger Angst hatte. In Bezug auf unsere heutige Situation kann ich daher allen Menschen nur nahebringen, es ebenso zu machen. Eine kleine Achtsamkeitsübung am Abend hilft oft schon, um die Stimmung zu verbessern. Denn – das Gute ist: Selbst für die, die gar keinen mehr besitzen, lässt sich Optimismus rückwirkend erlernen.
Selbstwirksamkeit in der Ohnmacht
Ein weiterer Punkt, bei dem Herr Wallert zu seiner Lebensgeschichte Parallelen zieht ist das Gefühl des Ausgeliefertseins – oder? Kann man selbst in dem Wissen der Unfreiheit und des unmittelbaren Todes so etwas wie Selbstwirksamkeit erleben? Für Wallert ist es ganz klar: JA!
„Das wichtigste, wenn sich eine Krise so lange zieht wie bei uns damals, so schnell wie möglich herauszukommen aus der Opferrolle,“ erklärt er, „Nicht abzuwarten, bis alles vorbei ist, sondern ins Handeln zu kommen – egal wie.“
So baute er zu seiner Zeit aus Holz – was es ja im Dschungel massig gab – und geliehenen Werkzeugen einen Stuhl.
Einen Stuhl im Urwald.
Einen Stuhl, um nicht mehr auf dem kahlen Boden zu sitzen.
„Es war ein physisches Sensationserlebnis, auf diesem Stuhl zu sitzen. Noch größer war aber der psychologische Nutzen, denn ich hatte das Gefühl, etwas tun zu können – trotz dieser Situation der Ohnmacht. Ich konnte selbst wirksam sein.“
Auch hier zieht Herr Wallert die Verbindung zur Gegenwart und empfiehlt neben Geduld und Disziplin das eigene Leben nicht zu vergessen: „So banal es klingt: Jede Chance zu nutzen, irgendetwas zu tun, ist gut, solange sie selbstredend innerhalb der Schutzbestimmungen erfolgt.“
Gemeinschaft macht gesund
Last but not least gilt als weiterer und am meisten belegter Schutzfaktor der Resilienz soziale Unterstützung.
„Wir haben uns damals als Geiseln wortwörtlich aneinander angelehnt. Wir haben aber auch ganz gezielt Hilfe gesucht, in der Bevölkerung oder gegenüber den Journalisten, über deren Kameras wir direkt in die Welt gesprochen haben.“
Und die Hilfe kam: In Form von Paketen, Briefen und letztendlich der Summe, welche die Geiseln nach und nach auslösten.
„Es hat uns das Gefühl gegeben: Wir sind nicht vergessen. Wir sind nicht allein.“
Trotzdem erinnert Herr Wallert aus dieser Zeit auch Konflikte mit seinem „Team“, wie er es heute nennt: „Wenn man in so einer hohen Zahl zusammen ist, ergibt sich automatisch eine Gruppendynamik, zumal wir ja kein eingeschworener Freundeskreis und keine Fußballmannschaft waren, sondern unvorbereitet und unfreiwillig zusammenleben mussten. Dennoch denke ich heute, dass auch das seinen Erfahrungswert hatte.“
Aus den Zitronen, die uns das Leben schenkt, Limonade machen. Das ist Marc Wallerts Message für die Krise.

Infobox

Weitere Hinweise und Angebote, auch in Form von Seminaren für Unternehmen gibt der Resilienz-Coach auf seiner Internetseite https://marcwallert.com/.

Marc Wallert beim signieren seines neuen Buches im Sierstorpff Haus im Gräflichen Park Health & Balance Resort

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