Doris Dietrich
Bad Driburg/Höxter/Afghanistan. Geboren am 12. Oktober 1965 in Höxter, gestorben am 4. April 2014 in Afghanistan – zum 60. Geburtstag erinnern wir an eine der mutigsten und einfühlsamsten Fotojournalistinnen unserer Zeit.
Schon früh entdeckte sie ihre Leidenschaft für die Fotografie: Mit 16 Jahren arbeitete sie für lokale Zeitungen. Ihr erster Auftrag in Bad Driburg war gleich ein Abenteuer – ein Bericht samt Foto vom 40-jährigen Dienstjubiläum eines städtischen Angestellten. Vor lauter Aufregung vergaß sie das Blitzlichtgerät. Doch Anja wäre nicht Anja, wenn sie nicht eine Lösung fände: „Da hab’ ich den Mann halt ans Fenster gestellt“, sagte sie später trocken. Das Foto gefiel ihr übrigens auch Jahre danach noch. Dieser Moment steht exemplarisch für sie: Improvisationstalent, Mut und ein unbestechliches Auge für das Wesentliche begleiteten sie von Anfang an.
Nach dem Abitur studierte sie Germanistik, Philosophie und Journalistik, doch bald zog es sie in die Praxis – mitten hinein in die Brennpunkte der Weltgeschichte. Als festes Mitglied der European Pressphoto Agency (EPA) und später der Associated Press (AP) dokumentierte sie die großen Krisen der 1990er- und 2000er-Jahre: den Zerfall Jugoslawiens, den Irakkrieg, den Afghanistan-Konflikt. Dabei ging es ihr nie um das Sensationelle, sondern um den Menschen hinter dem Krieg. Ihre Kamera zeigte Nähe, Würde und Mitgefühl inmitten von Zerstörung und Chaos.
„If I don’t photograph it, it won’t become known.“ –
„Wenn ich es nicht fotografiere, wird es niemand erfahren.“
Anja Niedringhaus
Diese Haltung machte sie zu einer der bedeutendsten Stimmen der internationalen Kriegsfotografie. Sie war nicht nur stille Beobachterin, sondern aktive Zeugin – mit einem tiefen moralischen Kompass.
Im Jahr 2005 wurde sie mit dem Pulitzer-Preis für ihre Arbeit im Irak ausgezeichnet. Zudem erhielt sie den Courage in Journalism Award der International Women’s Media Foundation. Ihre Bilder erschienen weltweit, wurden in Ausstellungen gezeigt und in Sammlungen aufgenommen. Sie fotografierte ebenso Olympische Spiele wie Kriegsschauplätze – mit dem gleichen Gespür für den entscheidenden Moment.
Am 4. April 2014 wurde sie in Afghanistan von einem Polizisten erschossen, während sie über die Präsidentschaftswahl berichtete. Ihre Kollegin Kathy Gannon wurde schwer verletzt. Der Anschlag schockierte die Medienwelt – doch ihr Vermächtnis lebt weiter.
Heute erinnern zahlreiche Initiativen an sie: In ihrer Heimatstadt Höxter gibt es das Forum Anja Niedringhaus (FAN) als Ort der Begegnung und des Gedenkens. Ihr Werk, etwa im Bildband “At War”, zeigt, was gute Fotografie leisten kann – sie kann Brücken bauen, Geschichten erzählen, Missstände sichtbar machen.
Ihr Grab befindet sich auf dem Friedhof „Am Wall“ in Höxter – ein stiller Ort der Erinnerung an eine Frau, die mit ihren Bildern weltweit Menschen bewegte.
Anja Niedringhaus war eine Bilderkriegerin – nicht mit der Waffe, sondern mit dem Objektiv. Und sie kämpfte nicht für Krieg, sondern für das Verstehen.
Titelbild: Anja Niedringhaus –
Forum Anja Niedringhaus