Generalinventur für Deutschland: Wie der Staat wieder handlungsfähig werden soll

Alexander Bieseke

Bad Driburg/Berlin. Für die ehrenamtliche Online-Lokalredaktion BDiB ist der gelegendtliche Blick nach Berlin wichtig, weil viele bundespolitische Entscheidungen direkten Einfluss auf das lokale Leben haben – etwa bei Mieten, Bildung, Verwaltung oder Sozialleistungen. Lokale Probleme wie Planungsstau, Behördenträgheit oder Fachkräftemangel haben oft strukturelle Ursachen auf Bundesebene.

Der Blick auf bundespolitische Reformen – wie die Initiative für einen handlungsfähigen Staat – hilft, Zusammenhänge zu erkennen, Einordnung zu leisten und Bürgerinnen und Bürger politische Hintergründe verständlich zu machen. So wird Lokaljournalismus nicht nur zum Abbild des Alltags, sondern zu einem Werkzeug für Aufklärung, Beteiligung und demokratisches Verständnis.


Im Sommer 2024 gründeten Thomas de Maizière, Peer Steinbrück, Andreas Voßkuhle und Julia Jäkel unter der Schirmherrschaft von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die „Initiative für einen handlungsfähigen Staat“.

In einem breiten, parteiunabhängigen Arbeitsprozess erarbeiteten rund 50 Expertinnen und Experten aus Verwaltung, Politik, Wissenschaft und Gesellschaft einen 160-seitigen Abschlussbericht.

Das Ziel: nicht weniger als eine strukturelle Erneuerung des deutschen Staates – weg vom Reformstau, hin zu einem modernen, handlungsfähigen Gemeinwesen. Im Zentrum stand dabei nicht die Detailpolitik, sondern die Frage: Wie gelingt gutes Regieren im 21. Jahrhundert?

Die Bilanz ist klar: Deutschland leidet unter komplexen Zuständigkeiten, föderalem Klein-Klein, träger Verwaltung und politischem Misstrauen gegenüber den eigenen Institutionen. Die Initiative plädiert deshalb für grundlegende Strukturreformen. So soll etwa der Gesetzgebungsprozess transparenter und verbindlicher werden – durch offene Referentenentwürfe und eine Stärkung des Normenkontrollrats. Die Zuständigkeiten zwischen Bund, Ländern und Kommunen sollen neu geordnet werden, um Blockaden zu vermeiden. Statt endloser Abstimmungen soll Klarheit herrschen: Wer ist wofür zuständig – und wer trägt die Verantwortung?

Eine zentrale Empfehlung ist die Gründung eines Bundesministeriums für Digitales und Verwaltung. Es soll über ein eigenes Budget verfügen und Deutschland aus der digitalen Lethargie holen. Verwaltungsprozesse sollen nutzerorientiert, digital und effizient werden. Dafür braucht es auch einen Kulturwandel im öffentlichen Dienst: mehr Offenheit für externe Fachkräfte, weniger Formalismus, mehr Problemlösungsorientierung.

Auch in den Bereichen Sicherheit, Migration und Krisenschutz identifiziert der Bericht deutlichen Reformbedarf. Der Katastrophenschutz soll zur Bundesaufgabe werden, ein Nationales Krisenzentrum eingeführt werden. Die Zuständigkeit für Abschiebungen ab rechtskräftigem Bescheid soll beim Bund liegen, während Integration als Länderaufgabe gestärkt wird. Im Bereich Klima plädiert die Initiative für ein ständiges Klimakabinett mit eigenem Sekretariat, begleitet von einem verpflichtenden Klimacheck bei allen neuen Gesetzen.

Der Bericht setzt nicht nur auf strukturelle Maßnahmen, sondern auch auf einen Wandel der politischen Kultur. Der Staat soll seinen Bürgerinnen und Bürgern wieder mehr zutrauen – und umgekehrt. Vertrauen statt Kontrolle lautet die Devise. Bürgerräte könnten als dauerhaftes Beteiligungsinstrument eingeführt werden. Auch eine allgemeine Dienstpflicht, etwa im sozialen Bereich oder bei Katastrophenschutzorganisationen, wird angeregt, um gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken.

Thomas de Maizière im Gespräch mit Christoph Schwennicke

In einem begleitenden Interview im Podcast „Tagesanbruch“ (t-online) betont Thomas de Maizière die Dringlichkeit dieser Vorschläge. Er kritisiert den deutschen Perfektionismus, der viele Prozesse lähme, und spricht offen über politische Entscheidungen seiner Amtszeit, etwa zur Aussetzung der Wehrpflicht. Seine Botschaft: Der Staat braucht Mut zur Vereinfachung, zur Verantwortung und zur klaren Prioritätensetzung – denn Probleme lösen sich nicht durch Zögern, sondern durch Handeln.

Die Initiative ist mit der Veröffentlichung des Abschlussberichts formal beendet, doch ihre Wirkung soll bleiben. Erste Empfehlungen wurden bereits politisch aufgegriffen – unter anderem die Idee eines Ministeriums für Staatsmodernisierung. Die Hoffnung der Initiatoren: Dass sich Politik und Gesellschaft dieser Generalinventur stellen – und sie als Chance begreifen, den Staat fit für die Herausforderungen von Gegenwart und Zukunft zu machen.

Hier geht’s zum Podcast von t-online mit Peer Steinbrück und Christoph Schwennicke
Hier geht’s zum Podcast von t-online mit Andreas Voßkuhle und Christoph Schwennicke

Titelbild: Von links: Andreas Voßkuhle, Peer Steinbrück, Julia Jäkel und Thomas de Maizière. Klausurtagung in Berlin, Februar 2025 © privat

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